Interview: Zwei Amtsleitungen blicken zurück
Die Leiter der Arbeitsinspektorate Tirol und Steiermark im Ruhestand blicken auf ereignisreiche Karrieren zurück. Wie haben sich Arbeitswelt und Arbeitsinspektion verändert?
Wie hat sich die Arbeitswelt seit dem Beginn Eurer Tätigkeit verändert?
Josef Kurzthaler (Tirol): Die Arbeitswelt unterlag einem dauerhaften und massiven Veränderungsprozess. Die wohl wesentlichste Veränderung, auch mit Blick auf den Arbeitsschutz, brachte der Beitritt zur Europäischen Union im Jahr 1995. Gesetze und Verordnungen mussten geändert werden. Das neue ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) trat mit einer Vielzahl an Verordnungen in Kraft. Die Wirtschaft wurde durch Zertifizierungssysteme für Maschinen und Arbeitsstoffe revolutioniert. Das hatte zur Folge, dass sich die Arbeitsinspektion intensiver mit Arbeitsverfahren auseinandersetzen musste. Themen wie Muskel-Skelett-Erkrankungen, Arbeitsstoffbelastungen (Krebserreger, Allergene etc.), psychische Belastungen und aktuell auch das Thema Hitze am Arbeitsplatz wurden immer relevanter und erforderten fortlaufende Qualifizierung. Dennoch kann man sagen, dass die positiven technischen Entwicklungen neben erhöhter Produktivität auch sicherere Arbeitsbedingungen hervorgebracht haben.
Gerhard Esterl (Steiermark): Die Arbeitswelt in den Neunzigern war viel stärker von Konstanz und Berechenbarkeit geprägt. Die raschen Änderungen und Weiterentwicklungen der heutigen Zeit stellen alle vor große Herausforderungen und schaffen natürlich auch Verlierer. Zudem ist die Frage, ob es sich rechtlich um Arbeitnehmer:innen handelt oder nicht - also ob Arbeitnehmerschutzbestimmungen überhaupt gelten - heute wesentlich schwieriger zu beantworten als noch vor drei Jahrzehnten. Durch neue Formen der Arbeit sind wir immer öfter damit konfrontiert, dass Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen für uns nicht oder nur schwer greifbar sind.
Und die Arbeitsinspektion? Wie hat sie sich über die Jahre entwickelt?
Josef Kurzthaler (Tirol): Die Arbeitsinspektion von 1992 und die von heute sind kaum vergleichbar. Damals haben wir noch analog gearbeitet, quasi mit Papier und Bleistift, Schreibmaschine, Diktiergeräten und Fotoapparaten. Gesetzblätter waren so wertvoll, dass sie jährlich beim Buchbinder mit Einbänden zu Büchern verarbeitet wurden. Im Jahr 2024 stehen uns sämtliche elektronische Hilfsmittel zur Verfügung, wie Smartphone, Tablet inkl. notwendiger Programme und Zugriffsrechte auf Datenbanken sowie interne und externe Webseiten. Manchmal habe ich mir gewünscht, dass die Änderungen nicht so rasant voranschreiten. Nichtsdestotrotz waren sie für die Organisation sehr wichtig.
Ein Positivbeispiel ist sicherlich die Einführung des Total Quality Management, kurz TQM. Es brachte neues Strukturdenken mit sich. Der Grundsatz, dass eine Institution ihre Berechtigung verliert, wenn sie keine Ziele hat und auf Veränderungen in der Arbeitswelt keine Antworten bieten kann, hat der Arbeitsinspektion gutgetan. Dadurch, dass das TQM „Bottom-up“ gestartet wurde, waren fast alle Mitarbeiter:innen der Arbeitsinspektion irgendwie damit verknüpft. Diese Basis erleichterte es, zielorientiert zu arbeiten. In Eigenleistung entstand dabei sogar unsere Website, da wir Informationen für unsere Anspruchsgruppen möglichst leicht zugänglich anbieten wollten. Heute ist das alles Normalität. Wir müssen aber dafür sorgen, dass diese Fähigkeiten weiterentwickelt und gepflegt werden. Auch die Fachtagung der Arbeitsinspektion, die alle zwei Jahre in Wagrain stattfindet, sehe ich als Positivbeispiel. Dort zeigt sich jedes Mal erneut, dass wir unsere Arbeit sehr ernst nehmen und gerne ausüben und dass wir mehr Wissen durch Zusammenarbeit und Austausch erlangen wollen.
Gerhard Esterl (Steiermark): Ich habe im November 1990 bei der Arbeitsinspektion begonnen und wurde am 1. Juli 1999 Amtsleiter. Im Gegensatz zur damaligen Zeit ist die Arbeitsinspektion heute eine Behörde, an der sich viele andere ein Beispiel nehmen können. Es wurde rechtzeitig erkannt, dass nur kontinuierliche Verbesserungen ein notwendiges Qualitätsniveau gewährleisten. In den Neunzigern war die Arbeitsinspektion einfach eine Behörde, die Gesetze vollzog. Heute betreiben wir ArbeitnehmerInnenschutz auf vielen Ebenen und aus vielen Gesichtswinkeln und versuchen, über den Tellerrand des Alltagsgeschehens hinauszublicken. Ich kann nur einen einzigen Punkt entdecken, der mir damals besser gefallen hat: ich würde mir vereinzelt ein bisschen mehr Konsequenz in der Durchsetzung des ArbeitnehmerInnenschutzes wünschen. Der nunmehrige Generationenwechsel bietet der Arbeitsinspektion die Chance sich entsprechend weiterzuentwickeln. Ich hoffe, dass sich die „Neuen“ von den „Alten“ nicht einreden lassen, wie gut wir denn eh sind, sondern konsequent an Weiterentwicklungen und Verbesserungen der Arbeitsinspektion arbeiten.
Könnt ihr Euch an ein besonderes Erlebnis als Arbeitsinspektor oder Amtsleiter erinnern?
Gerhard Esterl (Steiermark): Ich musste einmal einem Arbeitgeber mit ca. 2.500 Arbeitnehmer:innen mitteilen, dass er bei meinem nächsten Besuch mit einer Anzeige rechnen muss. Er antwortete, dass ihn das natürlich nicht freut, er aber trotzdem hofft, dass ich weiterhin der für seinen Betrieb zuständige Arbeitsinspektor sein werde – und das ganz ohne Zynismus und offensichtlich ernst gemeint!
Das Schönste innerhalb der Arbeitsinspektion war für mich zu erleben, wie gut die Zusammenlegung der beiden ehemaligen Arbeitsinspektorate Graz und Leoben zum heutigen Arbeitsinspektorat Steiermark funktioniert hat und wie positiv sie von den Kolleg:innen angenommen wurde.
Josef Kurzthaler (Tirol): Als Abteilungsleiter musste ich vor einiger Zeit den Stand der Technik für Druckluftarbeiten gemeinsam mit dem Arbeitsinspektionsärztlichen Dienst, dem Zentral-Arbeitsinspektorat und den Behörden vor Ort neu definieren. Die Ausgangslage war eine veraltete österreichische Verordnung aus dem Jahr 1954. Auf Grundlage zahlreicher Ausnahmebescheide konnte eine Basis geschaffen werden, die dazu beitrug, das Risiko von Erkrankungen oder Unfällen bei über 20.000 Schleusungen deutlich zu verringern. Mit diesen Voraussetzungen wurden auch Tiefseetaucharbeiten in Tirol bewilligt.
Freude bereitete mir jedenfalls der gelungene Aufbau des Arbeitsinspektionsärztlichen Dienstes für Tirol und Vorarlberg. Das ging natürlich nicht ohne Hilfe der Personalabteilung, der Kollegin Dr.in Pinsger und mit Glück. Auch für das friktionsfreie Auskommen mit den Behörden und Interessensvertretungen in ganz Tirol bin ich dankbar. Heute ist das Amt mit allen Fachleuten ausgestattet, um Betriebe umfassend beim Schutz ihrer Arbeitnehmer:innen zu unterstützen.
Vielen Dank für das Interview!
Letzte Änderung am: 20.01.2025